Einblick in die Vergangenheit der Diakonie

Erstellt von Kerstin Kempermann |

Dissertation „Porzellan der Kirche“ von Maike Mittelsteiner beschäftigt sich mit den Vorläufern des Diakonischen Werkes im Oldenburger Land während der Weimarer Republik und der NS-Diktatur.

Oldenburg, 14.04.2022 – Für Maike Mittelsteiner waren es viele Tage mit staubigen Büchern und Dokumenten in Archiven in Oldenburg, Hannover und Berlin – Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ihre nun veröffentlichte Dissertation bietet einen Einblick in die Vergangenheit des Diakonischen Werkes der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg. „Porzellan der Kirche“ Diakonische Identitäten in der Geschichte des Oldenburgischen Landesvereins für Innere Mission 1918-1945 hat Mittelsteiner ihre Dissertation benannt, für die sie ein Stipendium des Diakonischen Werkes bekommen hatte.

„Wie sah es in den Einrichtungen der Diakonie in der Weimarer Republik und während der NS-Diktatur aus? Diese Frage wurde uns immer wieder gestellt. Mit diesem Stipendium wollten wir dazu beitragen, darauf eine Antwort geben zu können. Die vorliegende Studie soll uns befähigen, uns kritisch mit unser Vergangenheit – besonders auch der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen“, sagt Diakonie-Vorstand Thomas Feld zur Motivation dieses Forschungsstipendium zu vergeben.

Maike Mittelsteiner hat sich dafür von 2015 bis 2021 intensiv mit der Vergangenheit des Diakonischen Werkes – genauer mit dem Oldenburgischen Landesverein für Innere Mission (OLIM) auseinandergesetzt. Denn das Diakonische Werk Oldenburg Land ging 1974 aus diesem Verein hervor. Der OLIM gründete und betrieb verschiedene Einrichtungen, von denen wenige noch heute existieren. „Das 1923 gestiftete Büsingstift am Wallgraben in Oldenburg ist ein Beispiel für eine Einrichtung, die bis heute am gleichen Ort und in ähnlicher Ausrichtung fortbesteht. Andere Einrichtungen wie das Erziehungshaus To Hus in Dötingen in der Wildeshauser Geest gibt es heute nicht mehr, aber die Gebäude werden weiterhin vom Diakonischen Werk genutzt. Im Falle von To Hus befindet sich heute auf dem Gelände die Fachklinik Oldb. Land – Klinik für Suchterkrankungen. Wieder andere Einrichtungen wurden aufgegeben und die Immobilien veräußert. Ein Beispiel ist das Waisen- und Erziehungsheim, Heideheim an der Vechtaer Straße in Ahlhorn, in dessen Gebäude heute ein Nachtclub betrieben wird“, schreibt Mittelsteiner in ihrer Dissertation.

Auf mehr als 500 Seiten hat Mittelsteiner ihre Erkenntnisse zusammengefasst. Bei der Recherche stieß sie auf einige Hindernisse. „Die Quellenlage war teilweise sehr dünn. Das lag auch daran, dass Archive gesäubert wurden“, erzählt Mittelsteiner. „Diese Leerstellen muss man verantwortungsbewusst interpretieren“ Geholfen haben ihr dabei Funde im Archiv der Diakoniegemeinschaft Stephansstift in Hannover. In dem Brüderhaus wurden viele Diakone ausgebildet, die später in den Einrichtungen des Oldenburgischen Landesvereins für Innere Mission als Einrichtungsleiter tätig waren. „Viele blieben in brieflichem Kontakt mit dem Leiter des Stephansstift. Aus diesen Korrespondenzen konnte ich viel über die damalige Zeit erfahren.“ Auch die Überschrift der Dissertation „Das Porzellan der Kirche“, stammt aus diesen Korrespondenzen.

In den Briefen findet sich während der NS-Diktatur auch immer wieder die Frage „Wie können wir weiterarbeiten?“ Diese Frage führte zu hochpragmatische Lösungen, um in der Diktatur weiterbestehen zu können. Diskutiert wurde in Briefen zum Beispiel über Eintritte in die NSDAP. So beschreibt es Mittelsteiner. Die Kirchenleitung in Oldenburg sei in dieser Zeit christlich-national aufgestellt gewesen. Auch die Arbeit der Inneren Mission wurde vielfach ausdrücklich als ein Dienst an der sog. ‚Volksgemeinschaft‘ charakterisiert. Und Mittelsteiner ergänzt: „Weder im Heideheim noch in To Hus hatte man offenbar ethische Bedenken, Kinder und Jugendliche, die als vermeintlich nicht normal angesehen wurden, denen die Erziehbarkeit und damit die potenzielle Nützlichkeit abgesprochen wurde, in speziell dafür vorgesehene Einrichtungen zu überweisen. Dies konnte für die Betroffenen mindestens gesundheits- wenn nicht lebensgefährliche Konsequenzen haben.“

Zweiter Schwerpunkt neben der NS-Zeit war in der Dissertation die Weimarer Republik. In diese Zeit fällt der Ausbau der diakonischen Arbeit. Neue Einrichtungen und Arbeitsfelder wurden gegründet. „Auch in die missionarische Arbeit hat sich die Innere Mission damals stark eingebracht. Der Vorsitzende machte Missionsreisen mit Jahresfesten und es wurden Ortsvereine in der Umgebung gegründet“, fasst Mittelsteiner zusammen.

Die Dissertation von Mittelsteiner bietet einen ersten Überblick über die Diakonie in der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus. Es bleiben weitere Fragen offen. „Ich hoffe, dass weitere Forschungen an meine Dissertation anknüpfen werden“, sagt Mittelsteiner. „Es wäre toll, wenn sich noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen finden ließen, die über das Erziehungshaus To Hus in Dötlingen oder das Waisen- und Erziehungsheim Heideheim berichten können.“

Info

Die Dissertation erscheint in der Reihe Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens als Band 055 beim Verlag Vandenhoek & Ruprecht voraussichtlich im August. ISBN: 978-3-8471-1603-5

 

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